Karl Ziegelmeier nahm am UTC 2024 teil und berichtet uns aus erster Hand:
"Es ist Samstag, 6. Juli, kurz vor 18 Uhr, nach dem Start am Donnerstag, 4. Juli um 23 Uhr mein Zieleinlauf beim UTC Ultra-Trail® di Corsica in Corte, 110km, 7200 hm im Auf-/Abstieg liegen hinter mir – 42:51:17 Stunden
Bei meinem dritten Start nach 2021 und 2023 hab ich’s geschafft – Finisher beim UTC Ultra-Trail® di Corsica
Der erste Kommentar der Siegerin bei den Frauen, Miria Meinheit aus Deutschland: „Es ist eine sehr schwierige, technische Strecke – ich habe sie wirklich geliebt, aber sie war sehr hart. Es war das härteste Rennen, das ich je gemacht habe. Die Landschaft war einfach unglaublich.“
Ich kann mich ihren Eindrücken nur anschließen.
Nach dem Start in Corte, der ehemaligen Inselhauptstadt zur Zeit der Unabhängigkeit Korsikas, geht es gleich den ersten Aufstieg Richtung Col de Bocca Canaglia auf 1790 m hinauf, 1400 Höhenmeter auf nur 6,2 km. Vor mir schlängeln sich die Stirnlampen der über 450 Läufer*innen steil den Berg hinauf. Ich brauche über 2 Stunden 45 Minuten für diese Etappe. Ein kurzer Abstieg führt auf einem Waldweg zum Verpflegungspunkt Bonniacce bei km 15. Im Tal des Tavignanu entlang geht es etwa 4 km hinauf zur Kontrollstelle Pinadellu, danach zur Bocca Cappizzolu bevor es einen 3 km langen Abstieg mit etwa 800 hm hinunter zum Stausee von Calacuccia auf 878 m geht. An diesem
Kontrollpunkt bei km 32 komme ich am Freitag gegen 7.30 Uhr an, 1 ½ Stunden liege ich vor dem CutOff. Von hier geht’s in den nächsten großen Anstieg zur Bocca Crucetta auf 2415 m bei km 44, dem höchsten Punkt des UTC, vorbei am Lac di Cintu mit Blick auf das das Cinto-Massiv, dem höchsten Gipfel der Insel, 2706 m. Der Anstieg zum See und zur Bocca Crucetta ist sehr technisch, Wege und Umgebung sind alpin. Oben angekommen trifft man auf den bekannten Wanderweg GR20. Die Aussicht, die mir geboten wird, habe ich mir redlich verdient. Ein sehr technischer Abstieg über verblocktes Gelände steht bis zur nächsten Verpflegungsstation an der Bergerie Ballone an, 3,6 km mit 1000 hm, ich benötige hierfür knapp 2 Stunden, wieder eine Herausforderung für Knie- und Fußgelenke. Außerdem muss ich nach einem Stockbruch eine Verletzung meiner Hand versorgen. Die nächsten 5,4 km mit 700 hm konzentrieren sich auf den steilen felsigen Anstieg über die Bocca
Foggiale (1.962m) zur Refuge Ciottulu di i mori. Über den Weg durch das obere Tal des Golo und die Bergerie Radule geht es über die alte Route des GR 20 durch den Wald von Valdoniello zum nächsten Kontrollpunkt Ciattarinu bei km 60, 4.900 hm im Anstieg liegen seit dem Start hinter mir. Es ist 20.30 Uhr an, 1 ½ Stunden liege ich noch vor dem CutOff.
Inzwischen bin ich nach einer Laufzeit von 21 Stunden 30 Minuten auch so müde, dass ich eine kurze Schlafpause benötige. An diesem CP liegt auch mein Dropbag bereit, den man beim Start abgeben konnte. Nach einem Wechsel des Laufshirts und dem Bestücken des Laufrucksackes mit notwendigen Sachen mache ich mich gegen 21.15 Uhr wieder auf den Weg, mein Zeitpolster ist auf etwa 45 Minuten geschrumpft. Es ist inzwischen dunkel geworden, die nächsten Kilometer werde ich ganz alleine unterwegs sein. Über den Aufstieg zum Bocca San Petru, dann etwas steiler zum Bocca A Reta (1883 m) geht es zu den Ufern des Lac di Ninu (1756 m), der Quelle des Tavignanu. Leider kann ich wegen der Dunkelheit die Schönheit dieser Gegend im Lichtschein meiner Stirnlampe nur erahnen. Die Müdigkeit ist inzwischen so stark, dass ich mich beim Laufen bzw. Gehen immer wieder beim Einschlafen ertappe. Die nächste Versorgungsstelle an der Bergerie Inzecche bei km 74 kommt willkommen, ich muss nochmals ein Schlafpause einlegen.
Wir haben inzwischen Samstag, gegen 02.30 Uhr. Es ist jetzt auch kühl geworden, ich ziehe mir ein langärmliges Unterhemd und eine Weste über. Nach ca. 7 km durch das weite Campotile-Plateau erreiche ich das Refuge des Manganu. Über einen steilen, verblockten, mit teilweisen Kletterpassagen führenden Weg mit 750 hm im alpinen Gelände gelangt man schließlich zur Bocca Alle Porte (2250m). Die Aussicht zu den höchsten Gipfeln der Insel als Kulisse und den schönsten Hochgebirgsseen Capitellu und Melu zu unseren Füßen entlohnt für kurze Zeit die Mühen des Anstieges. Nach weitere 1,5 km auf dem GR20 erreiche ich den Kontrollpunkt bei km 84 Bocca Soglia (1975m), es ist inzwischen 7.49 Uhr. Der nächste Verpflegungspunkt mit der letzten CutOff-Stelle liegt in Grotelle. Auf dem 4km anspruchsvollem Abstieg sind 600 hm zu absolvieren, teilweise schwierig über Felsen mit Ketten und Leitern. Ich muss um 9.00 Uhr beim Kontrollpunkt in Grotelle sein, damit ich den Rest des Laufes fortsetzen darf. Die Helferin an der Bocca Soglia meinte, dass dies möglich wäre aber auch sehr knapp werden wird. Leider kann ich von der traumhaften Kulisse um den Lac di Capitellu und den Lac di Melu mit dem Blick auf die spektakuläre Kulisse und den schönen Ausblick auf den Golf von Ajaccio und das Tal des Fiume Grosso jetzt nur noch im Unterbewusstsein mitbekommen. Immer mit Blick auf meine Uhr, aber hochkonzentriert angesichts des Risikos in dem technischen Gelände, „laufe ich um mein Leben“, es geht zwar nicht um Hunderstel aber tatsächlich um Sekunden. Um 8.59 Uhr, 1 Minute vor dem CutOff durchlaufe ich die Zeitnahme, geschafft!
In diesem Moment denke ich nicht daran, dass nun immer noch über 20 km mit knapp 900 hm noch bis zum Ziel in Corte vor mir liegen. Etwa 800 m Höhenunterschied auf 3 kurzen Kilometern führen vom Restonica-Tal zum Alzu-Plateau. Danach geht es die letzten 12 Kilometer auf felsigen Wegen wellig bergab durch das Tavignanu-Tal und seine engen Schluchten. Ein Stück weit lasse ich mich noch auf den Trails durch den Wald durch die inzwischen dazugekommenen Läufer des Restonica-Trails bergab verleiten. Dann merke ich schnell, dass meine Fußgelenke dies nicht mehr mitmachen und ich lasse es wieder langsamer angehen. Endlich ist das Ziel Corte mit seiner Zitadelle in Sicht, der Zieleinlauf durch die historische Altstadt lässt alle Mühen vergessen.
Nach 42:51:17 Stunden laufe ich auf Platz 284 der Männer, Platz 2 in der Altersklasse M6 H (65-69) über die Ziellinie. Von 457 Startern erreichen 319 das Ziel, 138 sind mit DNF ausgeschieden. Das Finisherquote spricht
für die technischen Schwierigkeiten.
Fazit: Für Freunde des langen Leidens ist der UTC eine absolute Empfehlung"